Meine ersten 100 Meilen - Taubertal 100

Es war mein zweiter Versuch 100 Meilen zu laufen. Der erste Versuch scheiterte im Oktober 2018. Damals beendete ich den Lauf wegen starker Magenschmerzen bei km 100 in Wertheim. Ein Jahr später wollte ich es noch einmal wissen und hatte mich wenige Wochen vor dem Start angemeldet.


Ein paar Minuten nach dem Finish

Das Besondere am Taubertal 100 ist, dass es sich um einen Punkt zu Punkt Lauf handelt. Die Organisation ist so ausgelegt, dass man im jeweiligen Ziel - es stehen 50km, 71km, 100km und 100mi zur Auswahl - einen Rücktransport nach Rothenburg bekommt. Der Veranstalter Hubert Beck legt sehr großen Wert auf  Details. Spürbar ist dies z.B. bei der Auswahl der angebotenen Lebensmittel an den Versorgungpunkten. Die Versorgung war basisch. Es gab:
Obst, Suppe, Kartoffelbrei, Joghurt, Chia, Himalaya Salz, Kokosöl, ab km 50 Smoothies,
Wasser, Apfelsaftschorle, alkoholfreies Bier, basisches Elektrolyt (Fa Sponser) und Tee.

Ich reiste am 04.10.2019 nach Rothenburg o.d. Tauber und holte direkt nach meiner Ankunft meine Startunterlagen im "Hotel Rappen" ab. Im Anschluss checkte ich im 400m entfernten Hotel "Zum goldenen Greifen" ein. Mein Auto ließ ich am Hotelparkplatz stehen. Die Gastwirte waren sehr nette und unkomplizierte Menschen und das Zimmer klein und spartanisch, wie ich es erwartet hatte. Auf meinen Reisen bin ich nicht sehr anspruchsvoll. Ein Bett und eine heiße Dusche und mein Glück ist perfekt.

Um 17h fand im "Hotel Rappen" die Wettkampfbesprechung statt und ich staunte nicht schlecht, als ich den vollen Saal betrat. Die Laufveranstaltung hatte sich in den letzten Jahren im Hinblick auf die Teilnehmerzahl definitiv gesteigert. Neuer Teilnehmerrekord mit ca. 300 Läufern. Hubert Beck stellte das Rennen und seine Besonderheiten vor, ging auf die einzelnen Distanzen 50km, 71km, 100km und 100Meilen ein. Bei den 100 Meilen erwähnte er beiläufig im Vergleich zu den 100km "die 100 Meilen, dass ist dann schon etwas anderes." Darauf trank ich erst einmal einen großen Schluck alkoholfreies Weizen. 

Im Anschluss gings zur Kartoffelparty, die ebenfalls im "Hotel Rappen" stattfand. Ganz großer Pluspunkt ist neben dem veganen Menü die Gelegenheit, die Läufer kennenzulernen und sich mit ihnen auszutauschen. Bei den Unterhaltungen kam ich mir wie ein alter Hase vor, als ich von meinen vergangenen Starts beim Taubertal 100 berichtete.

Sportlicher Vortrag von Achim Heukemes

Einem echten alten Hasen konnte ich im Anschluss an das Abendessen noch zuhören. Achim Heukemes hielt einen sehr interessanten Vortrag über seine bisherigen Erfolge und seinen sportlichen Werdegang. Ein toller Vortrag mit lustigen Anekdoten, die auf mich sehr motivierend wirkten. Kurz vor zehn machte ich mich dann auf den Weg ins Hotel, wo ich noch bis 23h meine Drop Bags packte und danach  in einen unruhigen Schlaf fiel.  Fünf Stunden später war die Nacht  schon wieder zu Ende.

Nach Abgabe meiner Drop Bags und meinem Gepäck für Gemünden startete um ca. 5:20h der Fackellauf durch die Altstadt zum Burggarten. Dort wurden wir von einem Ritter hoch zu Roß auf unsere Reise geschickt. Die Kulisse der mittelalterlichen Stadt, ein Ritter auf einem Pferd (dieses Jahr war es eine Frau, die sich als Ritter verkleidet hatte)  und rund dreihundert Läufer mit Fackeln um kurz vor sechs erzeugten eine unglaubliche Atmosphäre.

Um 6h fiel pünktlich der Startschuss für die Läufer. Es war noch stockdunkel und frisch. In der Nacht hatte es geregnet und so hatten sich teils tiefe Pfützen gebildet, die im trüben Licht meiner Stirnlampe nur schwer zu erkennen waren. Ich schaffte es trotzdem mit trocken Füßen durch die Dunkelheit. Erst kurz vor Creglingen bei km 18 erwischte mich ein Regenschauer. Ich war gerade dabei meine Regenjacke anzuziehen, als es plötzlich wie aus Kübeln goss.

Am Versorgungspunkt in Creglingen wollte ich mich mit trockener Kleidung ausstatten. Problem hierbei war, dass die Wechselbeutel auch im freien hingen. Das war's dann mir trockenen Socken, dachte ich. Aber wie durch ein Wunder waren die Socken und T-Shirt noch halbwegs trocken. Es tat gut sich etwas frisches anzuziehen. Ich ließ mir einen Becher mit heißer Gemüsebrühe geben und schon gings auch schon weiter in Richtung Bad Mergentheim.

Mit Regenjacke und Laufrucksack gut unterwegs

Der Regen war übergegangen in ein leichtes Tröpfeln. Mittlerweile lief ich mit einem  Läufer aus München, der sich die 71km vorgenommen hatte. Er war sehr ungeduldig und preschte immer wieder davon. Schließlich musste er Gehpausen einlegen und sich am Wegesrand dehnen. Ein Blick im Nachgang auf die Ergebnisliste zeigte, dass er es doch noch ins Ziel nach Tauberbischofsheim geschafft hat.

Die 50km Marke befand sich in Bad Mergentheim. Ich war bereits 05:37h unterwegs. Hier gab's auch staunendes Publikum unter den Passanten, die Samstags durch die Fußgänger- und Einkaufsstraße schlenderten. Ich aß etwas Kartoffelbrei und ein wenig Obst und trank in Ruhe etwas Tee. Nach ca. 10min Pause gings wieder weiter. Das Wetter hatte sich zwischenzeitlich gebessert und es sollte auch nicht mehr regnen.

Tauberbischofsheim kam nach 08:07h  in Sicht. Hier bot sich die Gelegenheit wieder ein frisches T-Shirt und frische Socken anzuziehen. Ich fühlte mich gut, unterhielt mich mit anderen Läufern und verspeiste ein paar Stücke Wassermelone, einen veganen HERO - Schokoriegel und trank einen Becher Tee bevor es weiter ging. Das nächste Ziel war Wertheim. Bis dahin waren es 29km und langsam meldete sich meine Beinmuskulatur.

Ab und zu verschickte ich kurze Videobotschaften via WhatsApp an meine Familie, damit alle wussten, dass es mir gut ging. Wertheim erreichte ich nach 12:30h. Nach einer ca. halbstündigen Pause, in der ich mich umzog, ging es weiter.

Die Dunkelheit kam schnell. Wertheim lag noch nicht einmal hinter mir, als ich meine Stirnlampe einschalten musste. Die Streckenabschnitte an der Straße entlang waren sehr nervig, da mich die entgegenkommenden Autos blendeten. Ich hatte meine Schirmmütze leider in Wertheim gelassen. Sie hätte mir nun gute Dienste erwiesen. Lektion gelernt, dachte ich.

Die Versorgungsstellen befanden sich nun im Abstand von 10km und dazwischen wurde es still und einsam. Das Läuferfeld war ebenfalls deutlich reduziert und damit auch die Gesellschaft. Mit Einbruch der Dunkelheit wurde es deutlich kälter und ich wurde zunehmend müde und langsamer. Zu trinken gab es überwiegend heißen Tee und Brühe und ich hüllte mich an den Versorgungsstellen in warme Decken ein und kämpfe dagegen an nicht einzuschlafen.

Die Kilometer 120 bis 160 waren gefühlt ein einziger Tiefpunkt. Ich bekam  starke Schmerzen in meinem linken Schienbein. Die Einsamkeit, die Kälte und die Dunkelheit machten mir zusätzlich zu schaffen. Jeder Schritt war mühsam, jeder weitere Kilometer hart erkämpft. Immer öfter musste ich Gehpausen einlegen. An Laufen war nicht mehr zu denken, dazu waren die Schmerzen einfach zu heftig. Meine Füße fühlten sich zudem sehr geschwollen an. Bei Kilometer 140 lud man mich in ein Sportheim ein. Die Helfer dort sprachen mir Mut zu und wärmten mich mit Tee und etwas Suppe und Zuspruch auf. Das tat gut. Doch die Pause währte nicht lange. Nach ca. 10min hieß es die letzten 20km in Angriff zu nehmen.

Mühsam ging ich weiter, alleine durch die Nacht. Dann nach langer Zeit die letzte Versorgungsstelle bei km 150. Auch hier war die Stimmung sehr gut. Ich saß an einem Ofen und wärmte mich auf, während wieder Läufer an mir vorbeizogen. Mein Platzierung spielte zu diesem Zeitpunkt schon keine Rolle mehr.  Unter 26h finishen war das Ziel. Ich wollte diese Gürtelschnalle und ich würde sie auch bekommen! Die Gürtelschnalle geht zurück auf das 100mi Rennen in Leadville/ USA. Hier erhalten alle Finisher im Ziel eine Gürtelschnalle als Trophäe. An der nächsten Versorgungstelle half man mir wieder auf die Beine und schickte mich auf die letzten 10km.

In Gemünden angekommen lief ich 2x  in die falsche Richtung, weil "Spaßvögel" die Richtungsschilder für die Läufer umgedreht oder abgerissen hatten. Kurzerhand rief ich Hubert an um mich nach dem richtigen Weg zu erkundigen. Seine Beschreibung war präzise und so konnte ich mich auf die letzten Kilometer dem Ziel entgegen quälen.Wie sich herausstellte ging es ein steiles Stück einen unbefestigten Waldweg bergauf.  Diese Kilometer hatten es in sich, weil es mich sehr viel Konzentration kostete auf dem unbefestigten Weg nicht auszurutschen oder zu stolpern.


Dann kam ich endlich in Gemünden-Adelsberg an. Durchschritt das Ziel. Wurde zum Ritter von Rothenburg geschlagen, bekam meine Medaille und "die Gürtelschnalle" Und dann stand ich da und erlebte einen sehr starken emotionalen Moment, als ich realisierte dass es vorbei war, dass ich es geschafft hatte. Ein paar Tränen sammelten sich in meinen Augen. Ich war einerseits überglücklich und erleichtert, anderseits verspürte ich eine große Leere in meinem Inneren.
 
Mit Buckle-Belt und Trinkhorn
Nach 25:47:44h auf dem vorletzten Platz war es vorbei. Nach mir kam noch Wolfgang Rother in Ziel mit einer Zeit von 25:53:06h - Wohlgemerkt AK70. Wir unterhielten uns nach seiner Siegerehrung auf dem Rückweg nach Gemünden zur Turnhalle. Ich hatte großen Respekt vor seiner Leistung und diese zeigte mir, dass man Ausdauersport bis ins hohe Alter erfolgreich betreiben kann.

In der Turnhalle kuschelte ich mich in meinen Schlafsack. Mein Lager war nicht so weich wie mein Bett zu Hause aber bequem genug, dass ich sofort in einen traumlosen Schlaf abdriftete. Zwei Stunden später holte mich meine Familie ab und brachte mich nach Hause. Das Glück stand mir ins Gesicht geschrieben.

Ich habe unterwegs tolle Menschen kennenlernen dürfen und mich prima unterhalten. Meine ersten 100 Meilen haben mein Verständnis vom "Laufen" nachhaltig verändert. Wie sich diese Erfahrung auf mich auswirkt, kann ich noch nicht sagen, nur eines kann ich bestätigen: ich habe mich für die 100 Meilen in 2020 bereits wieder angemeldet.





Kommentare

  1. Toll geschrieben! Danke für das Teilen dieser grandiosen Erfahrung!

    AntwortenLöschen

Kommentar veröffentlichen