TOR DES GEANTS 2021



Es war stockfinster als ich plötzlich meine Augen aufschlug und begann in meinem Schlafsack nach meinem Handy zu tasten. Aber da war nichts. Auch lag ich nicht in meinem Schlafsack auf einem Feldbett, sondern auf einer weichen Matratze, mit weichem Kopfkissen und kuschliger Bettdecke. Mir dämmerte, dass ich mich nicht in einer Life Base beim TOR DES GEANTS befand, sondern wieder Zuhause in unserer Wohnung in Nürnberg. Ich hatte lebhaft geträumt. Neben mir lag meine Frau Simone und atmete ruhig und gleichmäßig im Tiefschlaf. Ich warf einen Blick auf die Uhr auf meinem Nachttisch. Es war 3h Morgens. Sobald ich meine Augen schloss, sah ich wieder die Berge, Felsen und Täler des Aostatals. Schließlich schlief ich wieder ein. 

Col d'Arp / 2.571 Meter

Das erste mal wurde ich auf TOR DES GEANTS auf Youtube aufmerksam. Ich schaute mir Videos zum Thema Trailrunning an und so dauerte es nicht lange, bis mir der Algorithmus die ersten TOR Videos anzeigte. Ich war sofort angefixed.330 km / 24.000 Höhenmeter, Mont Blanc, Gran Paradiso, Monte Rosa, Matterhorn, die 4.000er Europas, alle in unmittelbarer Nähe, da wollte ich unbedingt hin. Als ich Anfang des Jahres auf die Homepage des Rennens ging, war die Anmeldung eröffnet und so versuchte ich mein Glück. Die Slots waren heiß begehrt und reglementiert und so entschied das Los über die Teilnahme. Und siehe da, ich war einer der Auserwählten. 

Zur Vorbereitung suchte ich zu Corona-Zeiten erst einmal ein wenig verzweifelt nach geeigneten Vorbereitungswettkämpfen, bei denen ich neben meiner Kondition und mentalen Verfassung auch das Material ausgiebig testen konnte. Schließlich wurde ich fündig. Der Sachsentrail über knapp 78km und der Chiemgau100 über 100 Meilen sollten es sein. Beide Veranstaltungen erwiesen sich als wahre Prüfsteine und tolle Wettbewerbe.

Unsere Anreise hatte uns über mehrere Tage am Bodensee vorbei, zu den Rheinfällen nach Schaffhausen und Zürich schließlich ins Aosta Tal geführt, wo wir uns in einem kleinen, gemütlichen Apartment in der Altstadt von Aosta einmieteten. Es war unser Stützpunkt, unsere Life Base von der wir unsere Ausflüge und Unternehmungen ins Umland starteten. Es waren noch 5 Tage bis zum großen Tag. Genügend Zeit sich zu akklimatisieren und die Gegend zu erkunden. 

Absolut empfehlenswert bei schönem Wetter ist eine Fahrt mit dem Skyway Monte Bianco auf die Helbronner Spitze auf 3.466 Meter, von wo man einen atemberaubenden Ausblick auf den Monte Bianco und das umliegende Gebirge genießen kann. 

Der große Tag rückte unaufhaltsam näher und schließlich war Race Day! Der Startschuss zum TOR DES GEANTS fiel am 12.09.2021 Mittags im Ortskern von Courmayeur. Mit dem Wetter hatten wir richtig Glück. Angenehme 25 Grad und Sonnenschein. Die ersten Meter führten durch den Ortskern von Courmayeur, es schien die ganze Stadt auf den Beinen zu sein. Die Straßen waren gesäumt mit Menschen, die uns lautstark anfeuerten. Die Stimmung unter den Läufern war superb, es wurde viel gesprochen und gelacht. Sobald wir die Ortschaft jedoch verließen ging es auf einem schmalen Pfad bergauf und die Unterhaltungen wurden kurzatmiger. 

 

Erste Aid Station Baite Youlaz auf 2.051 Metern nach 12km

Am ersten Gipfel, dem Col d'Arp auf 2.571 Höhenmetern lag das Läuferfeld noch sehr eng beisammen doch schon bald danach, spätestens nach der ersten Nacht lichtete sich das Läuferfeld. Teilweise hatte ich das Gefühl ganz alleine durch die sagenhafte Landschaft zu laufen. 

Nicht ganz neu für mich war die körperliche Belastung in bergiger Höhe. In den letzten Jahren hatte ich einige erfolgreiche Besteigungen der Zugspitze übers Reintal und Höllental absolviert und so konnte ich mir ungefähr ausmalen was mich ab 3.000 Höhenmetern erwarten würde. Ich wurde nicht enttäuscht, jeder Gipfel war hart erkämpft und davon gab es eine Menge zu erklimmen. Höchster Punkt im Rennen war der Col du Loson mit 3.299 Höhenmetern, es waren wie gesagt ein paar dicke Bretter zu bohren. Wo es rauf geht, geht's bekanntlich auch wieder runter. Teilweise waren die Trails sehr technisch und sehr anspruchsvoll und ich war happy sie bei Tageslicht zu laufen.

Col du Loson, der höchste Punkt im Rennen

Was mir am meisten zu schaffen machte, war Schlafmangel. Im ersten Refugio in Valgrisenchet duschte ich und legte mich in meinem Schlafsack hin, doch ich bekam kein Auge zu. Es herrschte einfach zu viel Unruhe in mir und um mich herum und nach einer Portion Pasta und einem Bier ging es nach nur 01:56h um kurz vor 3h morgen wieder hinaus in die Nacht.

Alleine durch die Nacht - 2 Stirnlampen gehören zur Pflichtausrüstung

Die zweite große Life Base in Cogne erreichte ich am kommenden Abend um 22:40h. Hier schlief ich auch das erste mal für knapp 90min obwohl der Schlafsaal ein einzig großes Schnarchkonzert war. Bevor ich mich wieder auf den Weg machte, ließ ich mich dort noch massieren. Nach 03:45h ging es auch hier um 02.25h weiter durch die Nacht. Dienstag war schon ein anderes Kaliber. Erschöpfung und Schlafmangel setzen ein und der Weg auf den  Crenna Dou Leui und auch wieder runter war technisch eine große Herausforderung für mich Flachländer. 

Auf dem Crenna Dou Leui

Belohnt wurden die Strapazen mit leckerer Polenta an einer der vielen Aid Stations, die schon jetzt eine willkommene Abwechslung zur generellen Versorgung war. 

Hier wird lecker gekocht! Eine willkommene Abwechslung zu den Aid Stations...

Die Ernährung bei TOR DES GEANTS war rein funktional zu werten d.h. Essen um den Körper mit Nährstoffen zu versorgen um die Leistungsfähigkeit aufrecht zu erhalten. Wer mit kulinarische Höhepunkten der italienischen Küche rechnete, sollte seine Erwartungshaltung drastisch zurückschrauben. Penne pomodoro, Tomatensalat, Brot, Wurst, Käse, manchmal mit Gemüse, meistens ohne, Schokolade, ein paar Trockenfrüchte. Ich meine es war genug Auswahl vorhanden, aber nach der 5. Nacht kannst du einfach keine Penne oder Patatas (Kartoffeln)  mehr sehen. Ich begann zwischen den Aid Stations meine Clif und Power Bars zu lieben :) 

Die dritte Life Base in Donnas erreichte ich am Dienstag Nachmittag. Eigentlich war es zu früh, weil noch hell doch mein Körper bestand auf eine längere Pause und so schlief ich 2.5h und hielt mich insgesamt fast 7h in der Life Base auf, was eindeutig viel zu lange war. Erst kurz vor 10h Abends konnte ich mich wieder loseisen und lief dem vierten Tag entgegen. 

Rifugio Coda war sehr sehr kalt. Wir durften wegen Covid nicht ins Haus sondern die Versorgungsstelle stand davor. Sie war untergebracht in ein paar Pavillons, an denen der kalte Wind zerrte. Ich aß ein wenig Suppe und lief weiter bergab durch die Nacht. Und so ging das weiter, wie es schien ohne Ende. Die Sonne ging am Mittwoch auf und versteckte sich gleich wieder hinter Wolken. Refugio Barma, hier bestellte ich mir mal ausnahmsweise Penne mit Gemüse und trank eine Flasche Mineralwasser mit Kohlensäure und ein Bier aus der Flasche. 

Nudeln einmal anders und dazu ein kaltes Bier im Refugio Barma

Ich wurde immer langsamer oder verging die Zeit immer schneller, ich kann's nicht wirklich beantworten. Knapp 24h nachdem ich Donnas verlassen hatte, kam ich relativ spät in der Life Base in Gressoney an. Hier schlief ich knapp 2h, aß etwas, ließ mich kurz massieren und tapen und stolperte 2min vor dem gefürchteten Cut Off um 02.58h hinaus in die Nacht. Kurz hinter Gressoney traf ich Fabio, einen italienischen Läufer, der sehr gut englisch sprach und so unterhielten wir uns die halbe Nacht bis zum Refugio Alpenzu wo ich ihn ziehen lassen musste. Ich hatte eine Pause bitter nötig, zudem war die Nacht sehr kalt und ich musste mich etwas aufwärmen.

In einer Nacht hatte ich mehrere Begegnungen mit Tieren. Einmal tauchte ein Skorpion im Schein meiner Lampe auf einem Fels vor mir auf. Ein anderes mal saß eine große Eule in einem Baum und sah zu mir herunter. Hinter Perloz überraschte ich Nachts einen Waschbären, der vor mir Reißaus nahm und einmal war es ein großer Fuchs, der um eine Aid Station schlich, angelockt von Essenresten. Am ersten Tag hinter La Thuile sahen wir im Tal Steinböcke am Fluss. Ja, dass war ganz großes Kino. Ich war von Flora und Fauna einfach fasziniert. Und diese Geschöpfe, denen ich auf meiner Reise begegnete, die waren immer hier draußen und würden es noch sein, wenn ich schon wieder längst irgendwo in meinem Auto oder an meinem Schreibtisch saß oder in meinem Bett lag. Die Nächte im Wald gehörten eindeutig den Spinnen. Sie krochen aus allen möglichen Spalten und Löchern hervor und bevölkerten die Felsen in der Dunkelheit. Mit jeder weiteren schlaflosen Nacht stellten sich auch zunehmend Halluzinationen ein. Felsen erschienen mir als Menschen oder Tiere und erst bei genauerer Betrachtung lösten sich die Erscheinungen auf. 

Im Schein meiner Stirnlampe tauchen in der Nacht viele Tierchen auf :-)

Life Base Valtourneche ist ein toller Ort um Weihnachten oder einen Ski-Urlaub zu verbringen, hier schlief ich ebenfalls 2h und ließ mich massieren. Letztes ToDo in der Life Base: etwas essen. Die meisten Läufer waren bereits wieder unterwegs, obwohl es zum Cut Off noch 2h hin waren. Die Voluunters feierten ihre eigene Party mit Pasta, Gesang und Rotwein im "Speisesaal". Am nächsten Tisch saß bereits jemand und so fragte ich auf englisch ob hier noch ein Platz frei wäre. Ja natürlich könne ich mich setzen erwiderte er und fragte auch gleich ob er mir mit irgendetwas behilflich sein könne z.B. Essen organisieren oder etwas zu trinken. Dankend lehnte ich erst einmal ab und kümmerte mich selber um meine Bestellung. Penne mit Tomatensoße und Tomatensalat wie in den Tagen und Nächten zuvor. 

Wie sich herausstellte, war mein Tischnachbar bereits seit mehreren Tagen im Rennen TOR DE GLACIER unterwegs und hatte beschlossen jetzt auszusteigen. Es war seine 2. Teilnahme am TDG und deshalb sei es auch nicht weiter schlimm für ihn das Rennen nach ca. 250km zu beenden. Wir kamen ins philosophieren und mit Tränen in den Augen ins schwärmen. Mir stand die 4. Nacht bevor und wir sprachen darüber wie sehr man in der Nacht mit seinen eigenen Gedanken beschäftigt ist und einen inneren Dialog führt. Er erzählte darüber, dass er nach seinen letzten TDG erst einmal nichts mehr vom Laufen wissen wollte, sich dann aber bereits 2 Monate nach dem Event erneut angemeldet hatte, weil es ihn da raus zog, in diese raue wunderschöne Landschaft, den Elementen ausgesetzt, in die Einsamkeit und den Kampf gegen sich selbst. Schließlich sagte ich ihm Lebewohl und verabschiedete mich in die Nacht. 

Sonnenaufgang 

Es war Freitag und ich war überzeugt, dies würde die letzte Nacht gewesen sein. Weit gefehlt. Als ich Freitag Nachmittag in Chamillon ankam, war mir klar, dass ich eine weitere Nacht vor mir haben würde. Die schwerste bisher. Irgendwann in der Nacht begegnete ich Frank wieder, einem deutschen Kollegen, dem ich kurz vor dem Col du Loson schon begegnet war. Wir philosophierten ein wenig darüber wie die Läufer wie ein Jo-Jo immer wieder aufeinandertrafen in den einzelnen Refugios und das es sich anfühlte, als wäre man eine einzig große Reisegruppe, was wir ja auch irgendwie waren. 





Im Refugio Frassati tranken wir noch einen Café und dann ging es über den Col Malatra, von wo man einen tollen Ausblick auf den Monte Bianco hat. Danach nur noch 20km bergab bis Courmayeur und TOR war Geschichte. Und diese letzten 20km hatten es für mich wirklich in sich. Mein rechtes Sprunggelenk war zwischenzeitlich stark angeschwollen und bereitete mir große Schmerzen. Frank war schon weiter gelaufen. Irgendwann auf den  letzten Kilometern lernte ich Lucia und Roberta kennen.  Zwei Damen die am Wochenende zum Wandern gingen und sich prima dabei amüsierten. Sie motivierten mich und sprachen mir Mut zu, weiter dran zu bleiben. Ohne ihre mentale Unterstützung hätte ich es wahrscheinlich nicht geschafft. 

von links, Roberta und Lucia die mich auf den letzten Kilometern unterstützten

Es war der emotionalste Zieleinlauf meines Lebens. Die Menschen auf den Straßen feuerten mich an und jubelten 
als wäre ich Sieger des Rennens. Tänzer in Trachten mit Glöckchen begleiteten mich bis auf die Zielgerade. 

Nach dem Zielbogen ergriff mich pure Erleichterung und Tränen traten mir in die Augen. Simone erwartete mich schon und ich schloss sie in die Arme und wollte sie nie mehr loslassen. 

Pure Erleichterung im Ziel

Drei Wochen später sitze ich Zuhause auf meiner bequemen Couch, im beheizten Wohnzimmer, trinke ein Glas Rotwein zum entspannen und erlebe wieder das Abenteuer TOR DES GEANTS.





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